Trampelpfade – Mein Weg zum Coaching

Man geht seinen Weg, weil man ist, wie man ist, weil einen der Bauch und das Herz dazu antreiben, weil man gar nicht anders kann.

Achill Moser

Vorbereiten

Veränderung.

Mit Menschen arbeiten, im Gespräch, auf Augenhöhe.

Beobachten, nicht bewerten.

Mich selbst und meine eigenen Wege reflektieren, neue Sichtweisen auf alte Muster kennenlernen, anders entscheiden können.

Meine Motive, mich zur Weiterbildung „Coaching mit System und Gestalt“ anzumelden, scheinen auf den ersten Blick vor allem egoistisch geprägt: Was kann ich für mich tun? Wie kann ich mein Leben verbessern? Ein neues Projekt, das mir vielleicht dabei helfen kann, mir neben der Arbeit als Lehrerin und der Tätigkeit in der Bezirksregierung ein drittes Standbein aufzubauen? Alles, was ich an meinem Beruf als Lehrerin liebe, läuft auf die Weiterbildung als Coach hinaus: Kontakt mit anderen, Austausch, gemeinsam und voneinander lernen, diskutieren, neue Ideen ausprobieren…

In den vergangenen Jahren habe ich selbst Coaching in Anspruch genommen, z.B. in Phasen, in denen ich mich für eine bestimmte Richtung in meiner Laufbahn als Lehrerin entscheiden musste oder das Gefühl hatte, nicht mehr auf dem richtigen Weg zu sein.

Ich habe Coaching erfahren als eine wichtige Form der Unterstützung in schwierigen Lebensphasen. Unklar war mir damals, wieviel mehr dahinter steckt: 

„Coaching ist […] eine professionelle Reflexions- und Entwicklungshilfe mit dem Ziel, Handlungsalternativen und eigenständige Lösungen zu entwicklen. Dabei bleibt die Selbstverantwortung des Coachee zu jedem Zeitpunkt gewahrt, der Coach leistet Hilfe zur Selbsthilfe.“ (Fischer-Epe, S. 19, Hervorh. i.O.)

Vor allem der Aspekt der Eigenverantwortung erscheint mir zentral und kommt meinem eigenem Autonomiebedürfnis sehr entgegen, auch wenn es mir zuweilen schwer fällt, geduldig zu sein und keine schnelle Lösung vorzuschlagen oder einzufordern. 

Bringe ich wirklich die nötigen Voraussetzungen mit, die ein Coach braucht? Kann ich den Weg, der vor mir liegt, bewältigen? Welche Menschen werde ich treffen? 

Welche neuen Landschaften werde ich entdecken?

Aufbruch

Meine ersten Gehversuche als Coach in Weiterbildung waren geprägt von Neugier, Begegnungen, dem Wunsch nach Austausch, ersten praktischen Erfahrungen und der Auseinandersetzung mit theoretischem Hintergrundwissen.

„Coaching […] als zielorientiertes, wertschätzendes Begleiten einer Person oder eines Teams in persönlichen, eigenverantwortlichen und autonomen Prozessen der Lösungsfindung durch unterstützende Fragen, ohne Ratschläge zu geben oder das Ergebnis zu beeinflussen.“ (Lahninger, S. 24)

In der Auseinandersetzung mit der neuen Rolle bin ich losgegangen, ohne Routenplaner, ohne wirklich zu wissen, wo das Ziel sein würde. Mir war klar, dass ich mich auf Erfahrungen einlassen würde, die mich vielleicht verändern würden. Und gerade zu Beginn war es genau diese Ungewissheit, die ich brauchte, um meinem Drang nach Kontrolle entgegenzuwirken und dem Neuen offen zu begegnen.

Im Anfang liegt der „Keim des Ganzen.“ Diese Beobachtung, die Theodor Fontane über das Schreiben von Romanen formuliert hat, beschreibt sehr treffend auch meinen „Auf-Bruch“: Wenn ich heute rückblickend an den Beginn der Weiterbildung denke, fällt mir vor allem das Panorama ein, mit dem wir unseren Weg in die Weiterbildung mit wichtigen Stationen gestaltet haben. Viele Motive prägen auch weiterhin mein Leben: konzentrische Kreise im Wasser, die für meinen Wunsch stehen, Prozesse in Bewegung zu bringen, verschlungene Wege, die ich entdecken will, aber auch Einschränkungen, der Wunsch nach mehr Leichtigkeit. Was sich verändert hat: Damals glaubte ich, dass die Fesseln und die Schwere mir von anderen Menschen oder vom System auferlegt werden. Heute weiß ich: Was ich aus diesen Gegebenheiten mache, liegt in meiner Verantwortung.

Und ich bringe einen vollen Rucksack mit: Energie, Mut, Fokus, Empathie, Humor, Kompetenz, Spontaneität… Meine Fähigkeiten, die zwar manchmal auch zu Stolpersteinen werden können, wenn ich meine eigenen Kräfte überschätze, bilden meinen Kern, geben mir meine Wurzeln. Aber ich trage auch andere Dinge auf dieser Wanderung mit wie Selbstzweifel oder die Schwierigkeit für meine Bedürfnisse einzustehen.

Der Weg zum Coach ist ein Weg zu mir. Anerkennen, was ist und wer ich bin. Und ich bin neugierig auf jeden einzelnen Schritt!

Unterwegs sein

Im Lerncoaching war bereits nach den ersten Sitzungen das Thema aufgekommen, wie ich mich als Coach präsentieren möchte. So entstand in den Sommerferien meine Webseite, während ich im Urlaub auf die Ostsee blickte. 

Dieses Projekt half mir, meinen Fokus zu setzen, aktiv etwas zu gestalten, meine ersten Schritte in die Öffentlichkeit vorzubereiten, indem ich meine Haltung und mein Vorgehen als Coach in Texte und Bilder übertrage. Bei den Vorüberlegungen kamen vor allem drei Schwerpunkte heraus, die (zunächst) meinen Weg prägen sollten: die Reflektion meiner eigenen Rolle im Coachinggespräch, die Ausgestaltung „meiner“ Methode Walk and Talk und die Entscheidung für die konkrete Zielgruppe der Lehrerinnen.

Unterwegs – im Gespräch 

Fragen zu stellen bin ich als Lehrerin gewohnt. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich mehr oder weniger auf die Antworten vorbereitet bin oder sie zumindest antizipieren kann. Meine erste Erkenntnis in der Weiterbildung bestand darin, dass eine Grundlage des Coaching-Prozesses verschiedene Interventionen u.a. durch Fragen bilden, die von Neugier und maximaler Offenheit geprägt sind, mit dem Ziel, die Coachee bei der selbstständigen Lösungsfindung zu begleiten. In meiner persönlichen Entwicklung habe ich gelernt, dass es aber vor allem die erweiterten Nuancen des Zuhörens sind, die ich noch verfeinern möchte. 

Im Sinne von Mechthild Erpenbeck geht es mir dabei um ein achtsames Zuhören, 

„das sich nicht eng und kognitiv auf die Inhalte und ihre Bedeutung konzentriert, sondern eher weit und assoziativ ist – alle Eindrücke einschließend, die mir im dem Moment durch die entsprechende Person zuwachsen.“ (Erpenbeck, S. 15)

Das Kognitive, die Lehrerin in mir leiser werden zu lassen, auf andere Stimmen und Stimmungen zu hören – das fällt mir nicht leicht und deshalb sollte es in der Coaching-Weiterbildung und sicher auch in der Zeit danach für mich eine Herausforderung werden.

Ich möchte meinen Coachees auf Augenhöhe begegnen, mich nicht als ihre „Retterin“ verstehen, sondern als Wegbegleiterin. Dazu ist es notwendig, mich immer wieder selbst zu reflektieren im Hinblick auf die Frage: Habe ich eine Hypothese ausgesprochen oder einen Vorschlag gemacht, der mein Gegenüber entmündigt? Vor allem die Ausführungen zur Transaktionsanalyse, die wir während der Weiterbildung kennenlernten, erscheinen mir bei dieser Herausforderung sehr hilfreich. Ich bin okay, du bist okay. Ich stehe nicht über meinem Gegenüber, mache mich aber auch nicht kleiner.

Aufgrund dieser Überlegungen entschied ich mich auch dafür, auf meiner Webseite die Leser:innen und meine (angehenden) Coachees zu duzen. Zu sehr ist das „Sie“ im System Schule mit hierarchischen Strukturen behaftet. Und durch die vielen Begegnungen auf Fortbildungen und Barcamps in den letzten Jahren habe ich die Entspannung und Gleichberechtigung des Du zu schätzen gelernt.

Unterwegs – im Raum

Wo kann Coaching stattfinden? Diese Frage stellte sich für mich zunächst gar nicht, ich war aufgrund meiner eigenen Erfahrungen davon ausgegangen, dass man immer in einem (geschützten) Raum, zwischen vier festen Wänden sitzen würde, vielleicht beim Coach zuhause oder in einer Art Büro.

Wann genau ich auf die Idee kam, meine Coachinggespräche nach Möglichkeit nach draußen zu verlagern, weiß ich nicht mehr. Vermutlich war es während eines Spaziergangs. Die besten Gespräche, die wichtigsten Entscheidungen, die klarsten Gedanken erlebe ich nicht hinter einer Tür, sondern draußen. Unterwegs. 

„Durch Gehen kann ich mir alles von der Seele laufen – was auch immer es ist. Gehen macht mir einen klaren Kopf, ermöglicht mir die Dinge zu durchdenken. Die natürliche Bewegung bedeutet für Körper und Gehirn Erfahrungen und Anforderungen, die anderen Formen der Bewegung Ihnen nicht verschaffen.“ (O’ Mara, S. 20)

Der Neurowissenschaftler Shane O’Mara legt in seiner Abhandlung über das Glück des Gehens anschaulich dar, welche positiven Auswirkungen die körperliche Bewegung auf den kreativen Gedankenfluss, die persönliche Stimmung oder das Wohlbefinden in dem Moment, aber auch nachhaltig haben kann. Bemerkenswert sind dabei aus meiner Sicht die vielen Parallelen zum Coaching:

„Sie müssen einen Schritt vor den anderen setzen, bis Sie angekommen sind. Sie suchen sich Ihren eigenen Weg, erleben die Welt in unmittelbarer Nähe, in Ihrem eigenen Tempo, auf Ihre eigene Weise.“ (ebd.)

Beim Coaching im Gehen kann man neben dem Ziel auch die Prozesshaftigkeit in den Blick nehmen: Man geht gemeinsam, Schritt für Schritt, schaut sich Umwege oder Weggabelungen an und erlebt das gemeinsame Miteinander unverstellter und authentischer, als es vielleicht in einem Coachingbüro möglich ist (vgl. Rietmann 2020, o.S.).

Die Rolle der Wanderführerin oder Wegbegleiterin passt auch gut zur Analogie der Kutsche: Die Coachee entscheidet selbst über Ziel, Richtung, Art und Dauer der Reise. Der Coach bereitet das Setting, kennt die Wege, kann Entfernungen und Zeiten abschätzen, sorgt für die Qualität des Vorankommens und ggf. für angemessene Pausen (vgl. Fischer-Epe, S. 19).

Unterwegs – im Kontakt

Welche Zielgruppe spreche ich an? Auch diese Frage kam recht früh im Lehrcoaching auf. Die Eingrenzung auf die Gruppe der Lehrerinnen erschien mir zu Beginn sehr schlüssig: Ihre Belastungen und Herausforderungen (vgl. Hanstein o.S.) sind – nicht nur während der Corona-Pandemie – sehr hoch und das Angebot, sich professionelle Unterstützung zu holen anstatt nur im informellen Rahmen „Dampf abzulassen“ erschien mir für diese Zielgruppe besonders notwendig. Im selben System zu sein wie meine Coachees sah ich zunächst als großen Vorteil an, da ich es mir einfacher vorstellte, mich in mein Gegenüber hineinversetzen zu können. Außerdem fiel es mir so wesentlich leichter, die Texte auf meiner Webseite zu formulieren.

Meine Webseite entstand, bevor ich die ersten Coaching-Gespräche geführt habe. Im Laufe der Weiterbildung lernte ich die vier grundlegenden Interventionsformen (Schützen, Stützen, Konfrontieren, Fordern) kennen und ich erkannte, auch durch die eigene Praxis, wie vielfältig die Herangehensweisen beim Coaching sein können. Auch die verschiedenen theoretischen und methodischen Richtungen, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, erweiterten meine Perspektiven und Handlungsspielräume. 

Ankommen

Meine Erfahrungen und viele Gespräche in den vergangenen Monate haben dazu geführt, dass ich die von mir zunächst gewählte Zielgruppe der Lehrerinnen überdenke: Will ich wirklich ein System bedienen, dass ich mehr und mehr hinterfrage? Will ich Pflaster auf viele kleine Wunden kleben, anstatt daran zu arbeiten, die Verletzungen gar nicht erst entstehen zu lassen? In ihrem Buch „Die Humanisierung der Organisation“ beschreiben die Autor:innen das Phänomen, wenn „eine Organisation ihre Mitglieder zu Manövern der Persönlichkeits- und Verhaltensoptimierung drängt, […] um Organisationsdefizite zu kompensieren.“ (Matthiesen u.a., S. 40) Würde ich das nicht unterstützen, wenn ich Lehrerinnen coache?

Die nächste Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang vor allem durch meine eigenen Coachingpraxis mehr und mehr stellt: Schmore ich nicht zu sehr im eigenen Saft, wenn ich nur Coachees begleite, die aus meinen eigenem System kommen? Durch die Coachingsitzungen mit den wenigen Frauen, die aus einem anderen Berufszweig stammen, habe ich festgestellt, dass ich viel aufmerksamer bin, viel mehr nachfrage und keine vorschnellen Hypothesen stelle.

Meine Entscheidung stand also fest: Ich werde meine Zielgruppe nicht länger auf Lehrerinnen beschränken, mich weiterhin aber vorrangig auf Frauen konzentrieren. Das eine schließt ja das andere nicht aus, ein Entweder-Oder muss nicht sein.

Als nächstes stellte sich für mich noch die Frage, wie ich mit der Methode Walk and Talk weiterarbeiten will. Nicht nur für das unverbindliche Erstgespräch ist ein Spaziergang gut geeignet, sondern auch im gesamtem Coachingprozess kann es sinnvoll sein, einzelne Sitzungen nach draußen zu verlegen. Auch hier gilt: Es muss kein Entweder-Oder sein, die sinnvolle Kombination ist wichtig.

Mein Logo, das ich als erstes – noch lange vor den Inhalten der Webseite – entworfen habe, spiegelt meine zentralen Ansatzpunkte wider: Man ist gemeinsam in Bewegung, miteinander, aufeinander zu, begegnet sich auf Augenhöhe. Gedanken kommen „in die Gänge“, werden entwickelt, gehen „ihrer Wege“. Aus meiner Sicht passt dieses Konzept sehr gut in ein Gesamtverständnis von Coaching als ein Prozess, in dem man Zutrauen in Veränderung fasst, Schritt für Schritt.

P.S.: Die Weiterbildung zum Coach mit System und Gestalt nach den Standards der DGfC habe ich bei Andreas Baumgärtner absolviert in Kooperation mit der VHS Detmold-Lemgo. Dieser Blogartikel ist eine verkürzte Fassung meiner Abschlussarbeit im Rahmen der Weiterbildung.

Literatur

Erpenbeck, Mechthild: Wirksam werden im Kontakt. Die systemische Haltung im Coaching. Heidelberg 2017.

Fischer-Epe, Maren: Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Hamburg 2021.

Matthiesen, Kai/Muster, Judith/Laudenbach, Peter: Die Humanisierung der Organisation. Wie man dem Menschen gerecht wird, indem man den Großteil seines Wesens ignoriert. München 2022.

O´Mara, Shane: Das Glück des Gehens. Hamburg 2021.

Rietmann, Stephan: Coaching Schritt für Schritt. Potenziale und Besonderheiten des Coachings im Gehen. In: Coaching Magazin 4 (2020) https://www.coaching-magazin.de/konzepte/coaching-im-gehen

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